Hundeknigge: Gassigruppen des Grauens

Viele Hundehalter wünschen sich und ihrem Vierbeiner den regelmäßigen Spaziergang mit einer Gassigruppe – oder pflegen diesen bereits. Soziale Kontakte sind schließlich für Hund und Mensch wichtig. Dabei vernachlässigen leider viele Menschen das Kriterium „Qualität vor Quantität“ … Und so gibt es neben vielen vorbildlichen Gemeinschaften, die sich achtsam und rücksichtsvoll ihren Hunden und der Umwelt gegenüber verhalten, leider auch eine besondere Kategorie dieser Zusammenschlüsse: die Gassigruppe des Grauens.
Zitat von Unbekannt: „Aus dem Chaos entsteht immer etwas Neues“
Neue Wunden zum Beispiel. Etwa, weil die Gassigruppe des Grauens mal wieder volle Kanne in ein Hund-Mensch-Team reingeballert ist – und die Hunde das etwas zu sehr unter sich ausgemacht haben … Das ist der Härtefall. Meistens haben wir es glücklicherweise mit Weichefällen zu tun und es geht alles noch glimpflich aus: mit einem Schrecken, mit Fassungslosigkeit oder mit Wut. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie wenig Blut eigentlich vergossen wird, verglichen mit all den üblen Situationen, in die Menschen ihre und auch fremde Hunde bringen. Was eher für die Konfliktkompetenz der Hunde spricht statt für die Hundekompetenz der Menschen. Aber ich schweife ab … Was macht denn nun eine Gassigruppe des Grauens aus?
Die Definition der Gassigruppe des Grauens
Die Gassigruppe des Grauens ist ein Zusammenschluss mehrerer Gassigänger des Grauens – man kennt sie. Typische Merkmale dieser speziellen Art der Hundehalter liegen irgendwo zwischen Unwissenheit und Ignoranz, Unachtsamkeit und Fahrlässigkeit, Untätigkeit und Rigidität. Diese Merkmale stellen sich in geballter Form dann wie folgt dar. Die Gassigruppe des Grauens ist meist gemeinsam und dennoch getrennt unterwegs. Will heißen, Kommunikation findet hauptsächlich innerartlich statt: Die Menschen beschäftigen sich ausschließlich miteinander – und die Hunde machen ebenfalls ihr eigenes Ding.
Die Vierbeiner flitzen und flippen durch die Gegend („haben Spaß“), hauen sich gegenseitig ihre Anspannung um die Ohren („spielen“) und sind sich in ihrer Überforderung selbst überlassen („genießen ihre Freiheit“). Oftmals sieht und/oder hört man die Hunde lange, bevor deren Menschen auf der Bildfläche erscheinen, da der Radius der überdrehten Vierbeiner meist groß ist – und den dazugehörigen Haltern schnurzpiepegal.
Trifft die Gassigruppe des Grauens auf andere Menschen und/oder Hunde, wird sich einfach weiter unterhalten, vielleiiicht noch roboterhaft angemerkt „die tun nix“, maximal sogar halbherzig ein „Luunaahiiiiieeer“ befohlen. Das von Luna routiniert überhört und von Lunas Mensch dann nicht einmal korrigiert wird. Achselzuckend. Fremde Hundebesitzer, die die Gassigruppe des Grauens darum bitten, ihre Hunde mal kurz anzuleinen, um es ohne Risiken an ihnen vorbeizuschaffen, müssen mit dreisten Reaktion rechnen:
Das Anleinen wird demonstrativ genervt und deutlich spöttisch in die Wege geleitet, oftmals semi-erfolgreich. Beim Passieren des fremden Mensch-Hund-Teams wird sich darüber unterhalten, wie unentspannt dieser Mensch doch ist, dass man ja bereits seit 270 Jahren Hunde hat und noch niemals nie nicht „irgendetwas passiert ist“. Oder auch, dass Hunde dringend Sozialkontakte brauchen und der fremde Mensch da überhaupt keine Ahnung hat. Sein armer Hund.
Oder. Das Anleinen wird schlicht verweigert mit Aussagen wie „da passiert nix“, „hier ist Freilauf, dann gehen Sie doch woanders“, „ohne Leine klappt das, an der Leine wird der aggro“ oder „die kommt eh nicht, wenn ich sie rufe“. Wenn der fremde Mensch sich dann schützend vor seinen Hund stellt und die herangaloppierende Meute harsch abblockt, wird sich über das ruppige Verhalten dieser unentspannten Person mokiert. Manchmal sogar mit frechen Kommentaren, die dem Menschen und seinem Hund hinterhergeblökt werden, während sich die Gassigruppe des Grauens entfernt. Und sich dabei saftig überlegen fühlt.
Kommt es zu einem Konflikt zwischen der wilden Meute und dem Fremdhund, wird das meist von der Gassigruppe des Grauens entweder gar nicht erst als Konflikt wahrgenommen oder der Fremdmensch erhält eine Lektion in Fachwissen für Superprofis: „die regeln das unter sich“. Sollte der Fremdmensch etwas dagegen sagen, wird er wiederum belächelt und beunkt, denn er hat ja, wie wir nun alle wissen, keine Ahnung.
Sollten die Hunde „das“ etwas zu intensiv unter sich regeln und ein Hund kommt zu Schaden, ist klar, wer das verbockt hat: das fremde Mensch-Hund-Team. Schließlich kennt die Gassigruppe des Grauens ja ihre Meute. Die sind alle sowas von friedlich und sozial! Der fremde Hund hingegen ist definitiv nicht ganz sauber. Und hätte der Mensch mal nicht eingegriffen, ja dann wäre nix passiert, ey und überhaupt: „das hat er ja noch nie gemacht“!
Zur Gassigruppe des Grauens gehören auch meist Hunde, die aufgrund ihrer Genetik und/oder ihrer Not, weil sie weder von ihrem Menschen gesehen noch geführt werden, gerne einmal jagen gehen. Doch ob Hase oder Reh, Jogger oder Fahrradfahrer – den Hundebesitzern ist das meist egal. Den Hunden hingegen meist nicht, denn auch an diesen Bewegungsreizen kann man wunderbar Dampf ablassen. Den Dampf, der von den Besitzern durch die Verweigerung einer gesunden Beziehung zu ihrem Hund befeuert und befeuert wird.
Die Gassigruppe des Grauens wird von Außenstehenden i.d.R. als ein wimmelnder, polternder Haufen an Rücksichtslosigkeit wahrgenommen. Während diese Konstellation selbst allerdings Außenstehende meist a) gar nicht wahrnimmt, b) wahr- aber nicht ernst nimmt oder c) dann wahrnimmt, wenn es schon zu spät und die Hundekacke am dampfen ist.
Was tun gegen Gassigruppen des Grauens?
Da Gassigruppen des Grauens nun einmal deshalb so heißen, da sie ihre ganz speziellen Merkmale aufweisen (siehe weiter oben), ist gegen diese kein Kraut gewachsen. Entweder, die einzelnen Mitglieder kommen irgendwann von selbst zur Vernunft, z.B. weil sie persönlich eine der unschönen Erfahrungen machen, die sie anderen bisher beschert haben, oder: Man geht ihnen einfach weiträumig aus dem Weg. Betonung auf weiträumig.
„Oh nein, ich gehöre zu einer Gassigruppe des Grauens – was kann ich tun?“
Erst einmal Hut ab. Solch ein Eingeständnis ist sicher nicht einfach, aber einfach Gold wert <3
Was du tun kannst: Besinne dich darauf, warum du dir einen Hund angeschafft hast. Vielleicht, um mit deinem Hund gemeinsame Draußenzeit zu genießen und miteinander Schönes zu erleben? Frage dich, ob deine Gassigruppe des Grauens eure Zweisamkeit und eure Beziehung fördert oder eher stört. Und prüfe, ob deine Gassigruppe des Grauens ebenso Einsicht zeigen kann wie du gerade. Wenn nein, verabschiede dich. Wenn ja, nutze deinen Einfluss und geh ab sofort mit gutem Beispiel voran.
- Verbringe die nächsten Gassirunden damit, weniger zu reden und mehr die Situationen zu beobachten
- Mach dir bewusst, dass dein Hund genau merkt, wann du abgelenkt bist und dann ganz anders agiert und funktioniert
- Sei in erster Linie für deinen Hund da, statt für die Gruppe, und mache das auch klar – deinem Hund wie den Menschen
- Nimm deinen Hund ernst und lerne ihn bestmöglich zu lesen, statt nur zu interpretieren
- Arbeite an eurer Beziehung und an wichtigen Signalen wie dem Rückruf, auch – oder besonders – unter Ablenkung
- Geh vorausschauend spazieren und leine deinen Hund an, sobald fremde Menschen und Hunde in der Nähe sind
- Achte darauf, dass dein Hund immer in Sichtweite zu dir bleibt und du handlungsfähig bist
- Rufe deinen Hund vor Kurven oder schlecht einsehbaren Arealen zu dir, leine ihn ggf. an
- Lasse deinen Hund nicht mit jagenden, übergriffigen, pöbelnden Hunden freilaufen
- Wenn dich ein fremder Mensch in irgendeiner Form um Rücksicht bittet, fühl dich nicht angegriffen, sondern nimm Rücksicht
- Wenn du einen Fehler machst, ist das nicht schlimm, wir sind alle Menschen – nimm den Fehler an und entschuldige dich
Was für die Gruppe gilt, gilt selbstverständlich für jeden einzelnen Hundehalter. Denn wie wir es jeden Tag erleben, fängt hier das Grauen an. Oder eben nicht, wenn wir alle schonmal oben genannte Punkte berücksichtigen. Und noch eine wichtige Info: Gassigruppen des Grauens sind nicht zu verwechseln mit Gassigruppen des Guten, von denen es glücklicherweise auch viele gibt.
Also dann, Leute: Entsagt dem Grauen, setzt auf das Gute – euch selbst und eurem Hund zuliebe. Und natürlich eurer Umwelt.
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Martina, Hundetrainerin bei Kläffer & Smart