Hundeknigge: Begründung oder Ausrede?

Oft hört man von Besitzern von Hunden, die gewisse Auffälligkeiten zeigen, Sätze wie: „Er ist ja noch jung.“ „Er ist gerade in der Pubertät.“ „Ein Hund muss auch noch Hund sein dürfen.“ „Er hat im Ausland schlechte Erfahrungen gemacht.“ (mutmaßlich) „Der liebt halt alle Menschen.“ „Der liebt halt alle Hunde.“ „Der ist halt ein … (Jagdhund, Terrier, Dackel-Kojote-Mix).“ …
Aller Anfang ist schwer
Klar, jeder Hund muss erst einmal jede Menge lernen und kann nicht alles von Geburt an. Und manche Welpen sind richtig anstrengende und harte Nüsse. Auch adoptierte Hunde im Erwachsenenalter müssen viel lernen und kennenlernen im neuen Zuhause. Manche sind so fordernd, dass ihre Menschen zig Übungsstunden oder auch Trainer durchlaufen, um dem Hund halbwegs in Lebensqualität und Alltagstauglichkeit zu kriegen (an dieser Stelle mal ein großes Danke für euren Einsatz). Hunde brauchen ihre Zeit. Und was sie vor allem noch brauchen: klare Regeln und jede Menge Unterstützung, Geduld und Engagement von ihren Menschen!
Leider zeigen Hunde jedoch z.B. Respektlosigkeit, Übergriffigkeit oder tiefste Ignoranz für das Wort „hier“ oft, weil ihnen das Verständnis, die Unterstützung, die notwendige Anteilnahme ihrer Menschen fehlen. Ja, aller Anfang ist schwer. Aber wenn man von Anfang an verpasst, wichtige Themen zu klären und Regeln zu etablieren, weil man sich auf o.g. Aussagen ausruht und bequem denkt „das wächst sich raus“ oder „Hunde sind halt so“, dann bleibt’s auch schwer. Und wird eher schwerer – für den Hund selbst, für den Menschen und für die Umwelt.
Die Kehrseite der Medaille
Andersherum benutze ich auch als Trainerin manchmal den einen oder anderen Satz aus der Einleitung. Hunde können nicht immer in jeder Lebensphase und Situation alles leisten, was man sich von ihnen wünscht. Wenn Hundebesitzer z.B. so engagiert sind, dass es ihnen nicht schnell und perfekt genug geht mit der Erziehung, dann müssen auch mal wieder die natürlichen Grenzen eines Hundes erwähnt werden. Und dann sage ich auch mal „der ist gerade in Phase X“ und erkläre, was der Hund jetzt gerade leisten kann und wie seine Menschen mit ihm arbeiten sollen. Aber zurück zu den Ausreden …
Ausreden statt Erziehung
Nur, weil ein Hund jung ist, in der Pubertät, von einer bestimmten Rasse, von der Straße, schlechte oder vielleicht auch zu gute Erfahrungen gemacht hat, heißt das in keinem Fall, dass er keinen erzieherischen Rahmen braucht. Ganz im Gegenteil, ein solcher Rahmen ist das Wichtigste! Für jeden Hund jeden Alters und jeder Herkunft. Vernünftige Regeln, faire Ansagen und klares Durchsetzungsvermögen geben Sicherheit – dem Hund selbst, dem Halter und der Umwelt.
Natürlich muss man mit dem Hund arbeiten, wie es für ihn gerade möglich ist. In der Pubertät ist das Hirn oft in der Achterbahn, im Gruselkabinett oder auf Standby. Und manche Hunde durchlaufen eine ganz furchtbare Pubertät, für sie selbst und für alle anderen. Aber den Hund halt mal machen lassen ist jetzt genau so wenig zielführend wie alles mit der Brechstange durchsetzen zu wollen.
Das Ende aller Ausreden – hoffentlich
Wenn der Rückruf wie Russisches Roulette ist, weil der Hund „einfach Hund sein darf“ – und das definieren viele nach der eigenen Bequemlichkeit statt nach konkretem Fachwissen –, dann bitte keine Ausreden, sondern: Leine dran und trainieren. Keinem Hund tut es gut, mit aufgerissenen Augen, Zunge bis zum Boden, Maximaldynamik und Ohren auf Durchzug durch die Welt zu brettern. Und der Umwelt auch nicht.
Wenn jegliche Kontaktaufnahme maximal stürmisch ist, weil er halt „noch jung ist“ oder „in der Pubertät“, und dein Hund deswegen ständig aneckt, dann musst du wissen: Keinem Hund tut es gut, wenn die ganze Artgenossenschaft sein Verhalten scheiße findet und ihn dauermaßregelt (und ja, vielleicht verkennen das die beteiligten Halter sogar als Spiel). Sollte dir öfter mal der Satz von den Lippen gehen „das tut dem gut, wenn ihm mal ein Hund Bescheid sagt!“: Das mag sogar stimmen. Es ist jedoch nicht die Aufgabe fremder Hunde, deinen Hund zu erziehen. Es ist deine Aufgabe. Also bitte: Leine dran und trainieren.
Wenn der Hund explodiert, sobald er einen Artgenossen, einen großen Mann mit Mütze oder ein UFO sieht, weil du vermutest, dass er „im Ausland schlechte Erfahrungen gemacht hat“, dann bitte: Ärmel hochkrempeln und trainieren (dass der Hund in dem Fall an der Leine ist, setze ich hier mal voraus). Einem ständig explodierenden Hund geht es nicht gut, er braucht Hilfe.
Wenn dein Hund auf alles losbrettert, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, weil „er halt alle Menschen liebt“ oder auch „alle Hunde“, solltest du wissen: Es ist nicht immer alles Liebe, was nach Kontaktaufnahme aussieht. In andere Lebewesen reinbrettern, ist nicht nett. Deine Omma freut sich auch nicht über einen Oberschenkelhalsbruch, weil du sie vor lauter Wiedersehensfreude umgepokt hast. Das hat mit Liebe herzlich wenig zu tun. Also bitte: Leine dran (an den Hund, nicht die Omma) und trainieren.
Wenn du gerne mal plötzlich alleine im Wald stehst, weil dein Hund halt „ein Jagdhund ist“ und hinter allem herbrettert, was sich bewegt; wenn dein Hund alles schreddern will, was kleiner ist als er – gerne auch viel größer –, weil er halt „ein Terrier ist“; wenn dein Hund unberechenbar scheint und ständig freidreht, weil er halt „ein Was-weiß-ich-denn-Mix ist“: bitte Leine dran und trainieren.
Für jeden Dackel der passende Topf oder so
Wenn du nicht weißt, wie du welche Regeln etablieren sollst oder wenn deine bisherigen Trainingsmaßnahmen nicht den erwünschten Erfolg bringen, dann gibt’s eine Lösung! Such nach passender Hilfe und sei für deinen Hund da. Und zwar so wie dein Hund es braucht – und nicht wie es vielleicht bequem für dich ist.
In diesem Sinne: keine Ausreden, erziehen!
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geschrieben von Martina, Hundetrainerin bei Kläffer & Smart