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Umgang mit dem Hund: Sinnvolle Grenzsetzung oder zielfernes Machtgehabe?

cloud4pets Blog: Umgang mit dem Hund: Sinnvolle Grenzsetzung oder zielfernes Machtgehabe?
„Du darfst deinen Hund nicht auf die Couch lassen!“ „Du musst immer vor deinem Hund die Tür raus gehen!“ „Du musst deinen Hund auf jeden Fall ignorieren, wenn er sich freut, weil du nachhause kommst!“ … Ansonsten? Kickt die alles verschlingende Dominanz? Reißt der Hund in nullkommanix eine Schreckensherrschaft an sich und der Mensch darf nur noch zitternd in der Ecke sitzen? Hm. Regeln und Grenzen für den Hund? Unbedingt – das gibt ihm Klarheit und Sicherheit! Aber bitte mit Sinn und Hundeverstand.

Wir leben aktuell im Jahre 2023 und es gibt tausende von Studien und unzählige belegte Erkenntnisse über Hunde und deren Verhalten. In den letzten Jahren wurde so viel an Hundewissen korrigiert, revidiert und überarbeitet. Und dennoch hören alte und vor allem falsche Ansichten zu Hundeverhalten und -erziehung einfach nicht auf, ihr Unwesen zu treiben. Da hilft nur Aufklärung. Packen wir’s an.

König Hund: Die Couch als missverstandener Thron

Gehen wir als erstes auf die Beispiele in der Einleitung ein. Ob man seinen Hund grundsätzlich auf der Couch haben möchte oder nicht, unabhängig von irgendwelchen Problematiken, sollte jedem selbst überlassen sein. Nicht jeder mag ständig Hundehaare oder auch Spazierdreck vom Sofa wegsaugen oder hat Bedenken, dass doch einmal eine Zecke die Gemütlichkeit sprengt. Abgesehen davon will nicht jeder Hund, der gerne auf der Couch liegt, seinen Menschen in die totale Knechtschaft dominieren. Jaaa, erhöhte Liegeplätze, geiler Scheiß für Hunde, Chefplatz und so. Ein Hund, der fair geführt wird, seine Regeln und Grenzen kennt und akzeptiert sowie seinen Menschen respektiert, wird eher nicht plötzlich von Allmachtsphantasien gesteuert, wenn er mit auf der Couch liegen darf. Ganz im Gegenteil, zusammen ruhen, mit oder ohne Körperkontakt, kann das Zusammengehörigkeitsgefühl, die Entspannungsfähigkeit und das Wohlbefinden stärken – und damit die Beziehung.

Lässt der Hund seine Menschen nicht mehr auf die Couch, wenn er sie einmal erobert hat, und stellt seine Zweibeiner auch in allerlei sonstigen Situationen in Frage, sieht das anders aus. In solchen Fällen hilft ein*e Hundetrainer*in dabei, dem Hund angemessen, wohlwollend und nachhaltig seinen eigentlichen Platz in der Familie zu erklären.

Mit der Tür aus dem Haus – Hund oder Zugmaschine?

Ähnlich verhält es sich mit der Frage, ob ein Hund vor dem Menschen die Türe raus gehen darf. Auch hier wieder: wird der Hund bedürfnisgerecht und ruhig geführt, startet entspannt in den Spaziergang und orientiert sich an seinem Menschen, spricht meiner Auffassung nach nichts dagegen, dass er mal als erster das Haus verlässt. Fährt er sich bei dem leisesten Anzeichen, dass es bald raus geht, schon prallehoch und kann gar nicht anders, als die Tür rauszuballern, sobald diese sich auch nur einen Spalt öffnet, haben wir eine andere Ausgangslage. Genau so, wenn der Hund zwar moderat angespannt rausgeht, sich aber sofort für alles, was da draußen kreucht und fleucht verantwortlich sieht und beim geringsten Reiz kaum noch ansprechbar ist. In der Regel muss auch hier das Gesamtbild betrachtet werden, denn solche Probleme kommen selten allein. Sich dann unter körperlichem Schwersteinsatz vor dem Hund die Tür rauszuquetschen wird als Einzelmaßnahme wenig nützen.

Wiedersehen macht Freude? Der missverstandene Hund

Ignorierst du deine*n Liebste*n, wenn du nachhause kommst, schaust und sprichst sie oder ihn partout nicht an? Oder die Kinder, die Eltern, die Großeltern? Nee, oder? Warum sollte man das mit seinem vierbeinigen Sozialpartner tun? Lass uns auch hier genauer hinschauen und differenzieren: Wie geht es dem Hund gerade? Wurde ihm von Anfang an beigebracht, dass man sich auch halbwegs ruhig über das Wiedersehen freuen kann, statt ihn künstlich in totale Übererregung hochzufeuern, ist es doch schön, einander freudig zu begrüßen. Zum Beispiel, wie man es auch mit seinen Liebsten machen würde: freuen – nicht aus der Haut fahren –, hallo sagen, vielleicht kurz in Körperkontakt gehen und schon ist wieder alles beim Alten. Genauso ist es okay, dem Hund ein Lächeln zu schenken, erstmal zu machen, was gerade Priorität hat, wie z.B. die Gefrierartikel vom Einkauf in die Truhe zu räumen oder das Bad aufzusuchen, und sich dann dem Hund zu widmen. Ein Hund, der gut alleine bleiben kann und gelernt hat, dass er ein wichtiger Teil der Familie ist und sich gleichzeitig super zurücknehmen kann, dürfte absolut fein damit sein. Wenn der Hund gelernt hat, komplett die Fassung zu verlieren, wenn seine Menschen heimkommen, hektisch durch die Gegend tippelt, springt und rempelt, dem wird wahrscheinlich auch Ignorieren als Einzelmaßnahme wenig helfen. Denn auch hier ist dieses Verhalten womöglich nur ein Teil eines Problemportfolios, das ganzheitlich betrachtet und bearbeitet werden muss.

Hinter jedem Verhalten steckt ein Bedürfnis – und beim Hund ist dieses selten die Weltherrschaft

Zumindest ist das bei Hunden so – bei Menschen bezweifle ich das manchmal. Scherz beiseite. Wenn ich als Mensch bei jeder noch so kleinen Gelegenheit meinem Hund demonstrieren muss, wer hier das Sagen hat, kann ich das Verhalten meines Hundes als Grund dafür nehmen. Aber vielleicht, nur vielleicht, habe ja ich ein Statusproblem und nicht mein Hund? Wie souverän ist es, in jeder Handlung des Hundes ein Streben nach der vollkommenen Stürzung der menschlichen Herrschaft zu sehen? Wenn ich mich andauernd vor meinem Hund künstlich groß machen muss, mache ich mich damit in Wirklichkeit klein. Hunde haben eine ganz klare Auffassung von natürlicher Stellung und Führung und sie bewerten Lautstärke, eine kurze Zündschnur, Übergriffigkeit, Fahrigkeit und Unangemessenheit beim Menschen als unsouverän. Und mal ehrlich, wir doch auch?

Noch ein Beispiel für das Thema Angemessenheit – versetze dich einmal in folgende Lage: Dein Hund hat gelernt, nach dem Spaziergang geht’s auf dein Zeichen ins Auto. Nujach, heute hat es den ganzen Spaziergang lang Bindfäden geregnet, und das bei kaltem Wind. Nun kommt ihr ans Auto, du öffnest die Kofferraumtür und dein Hund springt sofort hinein, ohne auf dein Zeichen zu warten. Musst du ihn dann an der Leine sofort wieder hart aus dem Auto reißen? Er hat doch gerade frech deine unantastbare Autorität untergraben! Naa. In diesem Fall wollte dein Hund wohl eher sein Bedürfnis nach einem warmen und trockenen Unterschlupf befriedigen. Wer kann es ihm verdenken? Und da dein Hund nicht doof ist, weiß er, dass er sowieso früher oder später ins Auto springen soll. Leben und leben lassen.

Übrigens: Manche Verhaltensweisen können auch auf Unwohlsein, Schmerzen oder Hormongeschichten hinweisen. Das Verhalten deines Hundes kannst du ganz einfach mit der cloud4pets dokumentieren, stärkere Abweichungen identifizieren und ggf. medizinische Ursachen abklären.

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Diskutieren = Allmachtsphantasien?

Gehen wir nochmal zu dem Satz zurück: „Ein Hund, der fair geführt wird, seine Regeln und Grenzen kennt und akzeptiert sowie seinen Menschen respektiert …“: Akzeptanz und Respekt sind nicht in Stein gemeißelt. Genau so, wie Menschen immer mal wieder gewisse Ansagen, Positionen, Meinungen, Verantwortungsbereiche hinterfragen, dürfen das ruhig auch unsere Hunde. Wen du heute respektierst, der kann durch sein Verhalten morgen schon an Respekt verlieren. Die Frage ist, wie reagierst du auf Diskussionen? Souverän, indem du sagst „okay, Schatz, ich verstehe, du willst wissen, ob ich das so meine. Ja, ich meine es so“ und du setzt standhaft und fair deine Ansage durch. Oder ob du gleich die Nerven verlierst. Die andere Frage ist, wie klar hast du deinem Hund denn erklärt, was du von ihm willst? Denn im Hundetraining hört man ganz oft „er müsste das doch langsam wissen“ oder „das weiß der ganz genau“, während der Blick und das Verhalten des Hundes so ziemlich das Gegenteil ausdrücken. Auch wichtig ist die Frage, ob du dich vielleicht selbst als Führungsperson eher unrühmlich in den Augen deines Hundes verhältst, während du dich selbst als total krassen Anführer betrachtest. Hier ist es wichtig, zu verstehen, wie Hunde Führung definieren und untereinander leben. Und obwohl wir Menschen uns genauso nach fairer, wohlwollender Führung auf Augenhöhe, mit Empathie und Verständnis wünschen, neigen wir bei unseren Hunden oft dazu, Führung mit willkürlicher Machtausübung zu verwechseln.

Was ist dein Ziel?

Willst du so schnell wie möglich – und koste es eure Beziehung, was es wolle –, ein Verhalten deines Hundes abstellen? Dann kannst du mit willkürlichem Druck arbeiten, der in jedweder Situation dein Handeln prägt. Bei dem einen Hund funktioniert das, bei dem anderen geht der Schuss auf lange Sicht nach hinten los. Sollte dein Hund durch deinen Druck das von dir unerwünschte Verhalten unterlassen, verwechsele sein Bestreben nach Konfliktvermeidung und Unversehrtheit bitte nicht mit Respekt.

Willst du, dass dein Hund dich als souveräne Führungspersönlichkeit wahrnimmt und sich von Herzen gerne an dir orientiert, dann sind zwei Dinge essenziell, um dein Ziel zu erreichen:

1. Lerne, deinen Hund besser zu verstehen. Menschen erachten viele Verhaltensweisen als unerwünscht, die für Hunde ganz natürlich sind. Sei verständnisvoll, kompromissbereit und geduldig. Was kann dein Hund jetzt zu diesem Zeitpunkt leisten, was ist sein Potential, was könnt ihr zusammen erreichen mit einem geduldigen und sauberen Aufbau?

2. Bevor du an deinem Hund herummäkelst, schaue in den Spiegel. Welches Hundeverhalten provozierst du vielleicht allein durch dein Bestreben, der „Chef“ zu sein? Würdest du dich aufgrund deines Verhaltens selbst als Führungsperson wahrnehmen, dich an dir orientieren, dich vertrauensvoll in deine Hände begeben?

Gedankenspiel: Sei so zu deinem Hund, wie du gerne selbst behandelt werden willst

Vielleicht hilft es der einen oder dem anderen, die Situation mit dem Hund immer mal wieder ins menschliche Adäquat zu übersetzen. Dein Hund ist nun du und du bist zum Beispiel dein bester Freund. Oder dein Hund ist du als Kind und du bist ein Elternteil. Wie fühlt sich dein Verhalten dann für dich an?

Natürlich haben sowohl Menschen als auch Hunde ihre Tagesform und beide verzeihen sich gegenseitig unentspannte Ausfälle. Dann war man halt mal bisschen drüber. Wenn es nicht die Regel ist, Schwamm drüber.

Ich könnte jetzt noch stundenlang hier Beispiele und Sinnbilder runterschreiben. Aber ich denke, das Bild dürfte recht klar sein. Ich überlege mir jetzt, wie ich heute noch sowohl die Zeiten, die für mein Hündchen eingeplant sind, als auch mich selbst erleben will. In diesem Sinne: habt euch einfach lieb 😉

geschrieben von Martina, Hundetrainerin bei Kläffer & Smart

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